Die Geschichte vom Christkind und
Nikolaus
Luise Büchner
Nun war die gute Frau Holle froh, denn jetzt hatte sie einen Knecht für
ihr Christkindchen gefunden, und zugleich einen Gehilfen für die Menge von
Geschäften, die es auf Weihnachten gibt. Zuerst machte sie nun mit den
Engelchen zwei wunderschöne Körbe für den Esel, die wurden aus
feinem Stroh geflochten und mit blauen und roten Seidenbändern verziert.
Dann holten sie aus der Stadt vom Gerber schönes rotes Leder, davon
nähten sie einen Sattel und Zaum und rings herum wurden silberne
Glöckchen gesetzt, so dass es immer leise klingelte, wenn das Eselchen
sich bewegte. Dem Grauchen gefiel es sehr wohl in dem schönen Stall bei
den zwei weißen Kühen und bald hatte es das Christkind fast noch
lieber als den Nikolaus, denn es brachte ihm jeden Tag süßes
Zuckerbrot und streichelte und liebkoste es.
Unterdessen durchstreifte der Nikolaus wieder Wald und Feld, um sich neue
Reiser und Gärten und Ruten zu suchen, wobei er fortwährend auf die
einfältigen Engelein schalt, die ihm seine schönen Ruten verbrannt
hatten. Wenn er aber dann am Abend heimkam, hatten sie ihm immer ein
Lieblingsgericht gekocht, bald Linsensuppe mit Bratwurst, bald Sauerkraut und
bald Kartoffelklöße. Da ward er wieder vergnügt, ließ es
sich schmecken und setzte sich dann an's Feuer, um Ruten zu binden.
Christkindchen saß neben ihm, nahm die Ruten und wickelte schöne
Gold- und Seidenbänder darum, damit die Ruten doch nicht ganz so
entsetzlich aussahen.
"Mache nur immer Deinen Firlefanz daran", knurrte der Nikolaus,
"die spürt man doch, wo sie hinfahren!" Damit schwang er eine
Rute durch die Luft, dass es einen lauten Ton gab und die Engelchen ganz
erschrocken in die Erde flüchteten.
So verging der Spätherbst, die Blätter fielen alle von den
Bäumen, der Wind pfiff laut über die Ebene und dem Mühlbach
verging das Rauschen und Murmeln, denn er war fast zugefroren, da sagte die
Frau Holle: "Morgen, Kinder, gibt es einen lustigen Tag; da wollen wir
einen ungeheuren Vorrat von Lebkuchen, Anisgebacknes und Marzipan backen, dass
mein Christkindlein am Weihnachtsabend mit vollen Händen austeilen kann.
Du, Nikolaus, bleibst hübsch zu Hause und sorgst für die Lebkuchen,
das ist Dein Geschäft und backe sie nur so schön braun, wie Dein
Gesicht ist. Christkindlein aber macht das Anisgebackene und das Marzipan, weil
dies ebenso fein und weiß ist, wie mein Kind. Honig für die
Lebkuchen ist genug da; die Bienchen, die den Sommer über unsere Blumen
auf der Höhe benaschten, haben einen großen Vorrat in's Haus
geschleppt. Das Mehr holt unser Grauchen heute Nacht drunten in der Mühle
und die übrigen Sachen sind schon alle da. Ist es Euch recht so?"
Alle riefen: "Ja, ja!" nur der Nikolaus, der immer etwas zu knurren
hatte, sagte: "Jetzt soll ich auch noch Lebkuchen backen, ich habe es
längst wieder verlernt."
"Wirst es schon noch können, alter Brummbär", antwortete
Frau Holle lachend, und richtig - am andern Morgen war er zuerst auf, heizte
den großen Backofen ein und ging an's Werk. Er nahm Honig in eine
Schüssel in eine Schüssel, die war fast so groß, als die
goldenen Badewanne, in der Frau Holle sich mit den Englein wusch, tat Mehl
hinzu, Pfeffer, Nägelein und Zimt und fing an mit seinen großen
Händen Alles durcheinander zu kneten. Bei ihm ging Alles in der
größten Ruhe und Ordnung vor sich, denn er war ja ein Mann und da
muss jedes Ding seinen regelmäßigen Lauf haben. Um so lustiger und
unruhiger aber war es nebenan, wo das Marzipan und Anisgebackene verfertigt
wurde. Gott, war das ein Getrappel und Gelaufe, ein Gekicher und Geschwätz
- man konnte sein eigenes Wort nicht verstehen! Da kniete ein Engelchen vor
einem ungeheuren Mörser und stieß Zucker fein, dort saß ein
Anderes und las den Anis aus, ein Drittes rieb Zitrone ab, ein Viertes schlug
die Eier auf, ein Fünftes stäubte das Mehl durch den Sieb, ein
Sechstes hackte Mandeln, ein Siebentes malte den Zimt und Viere bis Fünfe
hielten am Rand eine großmächtige Schüssel fest, vor der das
Christkindchen stand und mit einem langen Löffel den Teig
herumrührte.
Zuweilen ward der Lärm so arg, dass der Nikolaus mit seinen Händen
voll braunen Teig an der Türe erschien und Ruhe gebot. Da ging aber der
Spektakel erst recht los; sie stürzten Alle auf den Nikolaus ein:
"Hinaus", riefen sie, "Du brauner Kerl, hinaus! Du machst uns
unser weißes Gebackne schwarz!" Dabei schlugen sie mit den leeren
Mehlsäcken nach ihm, dass er so weiß ward, wie der Müller
drunten in der Mühle. Nun war aber der Nikolaus auch nicht faul; er fasste
mit seinen braunen Händen nach rechts und links, und wo er ein Engelchen
erwischte, klebte er ihm mit dem klebrigen Honigteig den Mund zu, dass ihm
für diesen Tag das Sprechen und Lachen verging. Das war ein rechter
Jammer! Frau Holle und Christkindchen mussten oft so lachen, dass sie nicht
mehr fortarbeiten konnten. Da war es kein Wunder, wenn der Nikolaus früher
fertig ward, als die Frauenzimmer. Sie hatten kaum erst einige Hunde, Katzen,
Pferde und die dicken Männlein von Anis und Marzipan fertig gebracht, als
der Nikolaus schon rief: "Nun kommt und seht!"
Sie liefen Alle in seine Stube, da duftete es köstlich und in langen
Reihen lagen Tausende und Tausende von Odenwälder Honiglebkuchen
aufgeschichtet. Viel Abwechslung war gerade nicht dabei; sie waren entweder
rund oder herzförmig und in der Mitte hatte der Nikolaus ein Bild
hineingedrückt, nach seinem absonderlichen Geschmack. Gewöhnlich war
es Adam und Eva im Paradies oder auch ein Reitersmann und zuweilen das liebe
Christkind selbst, mit einer Strahlenkrone auf dem Kopf. Um das Bild herum war
mit schönen weißen Buchstaben ein Vers gemalt. Weil aber der
Nikolaus nicht recht schreiben kann, so kann man ihn auch nicht recht lesen und
es ist darum allen Kindern zu raten sich nicht weiter den Kopf darüber zu
zerbrechen, sondern ihn ungelesen zu verzehren.
Frau Holle lobte den Nikolaus sehr wegen der schönen Arbeit, die er
gemacht und trieb nun die Andern wieder tüchtig an's Werk. Sie
schämten sich nun vor dem Nikolaus und eilten sich mehr als zuvor. Bald
roch der ganze Böllstein so gut wie eine Hofküche und bis zum andern
Morgen lagen ganze Gebirge von Marzipan und Anisgebacknes fertig.
Als es Abend ward, zog Frau Holle dem Nikolaus ihren Pelzrock an und setzte ihm
die Pelzmütze auf, füllte die Körbe des Eselchens mit Zuckerwerk
und Ruten, legte ihm sein rotes Geschirr um und hob dann das Christkindchen,
das seine schönsten Kleider an hatte, auf den Sattel. Der Nikolaus warf
noch seinen Sack voll Nüsse und Äpfel über die Schulter, nahm
dann die Zügel in die Hand und fort ging es durch die dunkle Nacht den
Berg hinab zu den hellen Wohnungen der Menschen. Frau Holle aber steckte sich
schnell in ihr warmes Bett und war froh, dass sie nicht mehr hinaus und dann
auf einem Zwirnsfaden heim reiten musste.
Wie nun aber die Beiden den Berg hinunter waren, hielt der Nikolaus den Esel an
und fragte: Liebes Christkindchen, ehe wir weiterziehen, möchte ich zuerst
nach den Kindern in der Mühle sehen, die waren immer lieb und brav und
pflegten mein Eselchen, wenn ich es einmal im Stall allein lassen musste."
"Das ist mir ja schon recht, lieber Nikolaus", antwortete das
Christkind und so ritten sie dann ganz stille bis an die Mühle und sahen
durch das Fenster hinein in die Stube. Das war sehr leicht, denn die
Müllerin war eine brave Frau und die Scheiben immer blank geputzt. Auch
die Lampe brannte schön hell und um sie herum, an dem blanken Tisch
saßen das Gretchen der Karl und der Peter. An ihrem Ansehen konnte man
gleich merken, dass es brave Kinder waren, denn sie trieben keine Unarten,
sondern Jedes war mit einer Arbeit beschäftigt. Das Gretchen half der
Mutter Äpfel schälen, weil am nächsten Tag Sonntag war und die
Müllerin den Kindern versprochen hatte, ihnen einen großen
Apfelkuchen zu backen. Der Karl saß über einem Buch, hielt sich
beide Ohren zu und murmelte immer vor sich hin, dabei war er ganz hochrot im
Gesicht von der Anstrengung. Er hatte für den Herrn Schulmeister ein Lied
den Sonntag über auswendig zu lernen und hatte sich gleich am Samstag
Abend darüber gesetzt, wie dies die fleißigen Kinder tun. Der kleine
Peter malte ruhig auf seine Schiefertafel Hunde und Katzen und wenn diese auch
eher Mehlsäcken und Brotleiben glichen, so lag ja nichts daran.
Wer da draußen vor dem Fenster stand und ihnen zusah, das wussten die
Kinder freilich nicht und sollten sie auch nicht wissen. Leise, leise griff
Christkindchen in den Korb mit den Zuckersachen und legte für jedes Kind
ein großes Stück auf das Fenstersims. Eine Rute dazulegen, das war
bei so lieben Kindern ganz überflüssig.
Wer aber den Nikolaus und das Christkindchen beinahe verraten hätte, das
war das Grauchen. Er kannte die Mühle und die Kinder gar wohl und freute
sich, sie zu sehen. So reckte er dann die langen Ohren in die Höhe,
bewegte den Kopf wie zum Gruß, so dass die silbernen Glöckchen an
dem roten Zaum hell erklangen und reif ein freudiges "I -ah!" Wie
flogen da die drei blonden Köpfe in der Stube von der Arbeit empor und wie
neugierig starrten die blauen Augen nach den angelaufenen Fensterscheiben.
"Mutter, das war unser Grauchen, dem Nikolaus sein Grauchen!" rief
Karl, stürzte an das Fenster und die Andern hinter ihm drein. Aber, sie
kamen viel zu spät, husch, husch! Waren der Nikolaus, das Christkindchen
und der Esel wieder in Nacht und Nebel verschwunden, nur ganz von ferne
hörte man noch die silbernen Schellchen klingen. Ganz betrübt sahen
die Kinder einander an, da sagte die Müllerin: "Aber da draußen
vor dem Fenster steht etwas, seht nur, ein Reitersmann von Marzipan, eine
Wickelpuppe von Anisgebackenem und ein großer Herzlebkuchen!" Die
Müllerin machte das Fenster auf, holte die Zuckersachen herein und nun
wollte die Freude und der Jubel gar kein Ende nehmen.
"Seht Ihr, dass ich Recht hatte", sagte Karl, "da ist wirklich
der Nikolaus mit seinem Eselchen und dem Christkindchen draußen
gewesen."
"Was sprichst du da von einem Christkind?" fragte die Mutter.
"Ja, so ist es", rief Gretchen, "der Nikolaus ist jetzt mit
seinem Esel droben auf dem Böllstein bei der guten Frau Holle und dem
lieben Christkind, das hat er uns Alles erzählt. Und wenn wir brav sind,
bringt er uns zu Weihnacht einen Zuckerbaum und viele schöne Sachen!"
"Wenn ich nur das Eselchen gesehen hätte", sagte der kleine
Peter.
"Weißt Du, Peterchen, war wir tun", rief Karl, wir legen morgen
Abend dem Grauchen ein Bündelchen Heu vor die Türe, zum Dank, weil
wir so gute Sachen bekommen haben."
"Und das Heu stecken wir in unsere Schuhe", setzte Gretchen hinzu,
"damit der Wind es nicht fortjagt."
So wurde es wirklich gemacht; die dankbaren Kinder steckten am andern Abend Heu
in ihre kleinen Schuhe und stellte sie vor die Türe. In der Nacht kamen
richtig wieder der Nikolaus, das Christkind und der Esel, der schon von Weitem
das gute Heu witterte. Er blieb stehen, fraß es und der Nikolaus, den
nichts so sehr freut, als wenn man seinen Esel gut behandelt, steckte einen
großen, roten Apfel in jeden Schuh; dann zogen sie weiter. Als aber nun
am Montag Morgen die Lisbeth die Schuhe für die Müllerkinder herein
holte, lag statt des Heues in jedem ein schöner Apfel. Das hatten sie
nicht erwartet und waren ganz toll vor Freude. Als sie in die Schule kamen,
hatten sie gar nichts Eiligeres zu tun, als die große Neuigkeit allen
Kindern zu erzählen. Die liefen nach Hause, stellten auch ihre Schuhe vor
die Türe, steckten auch Heu hinein und fanden am andern Morgen statt
dessen einen dicken roten Apfel. Bald wussten alle Kinder im ganzen Lande die
Geschichte von dem Esel und dem Heu, und das Grauchen bekommt so viel zu
fressen, dass es immer noch lebt, obgleich es schon seit vielen hundert Jahren
mit dem Nikolaus und dem Christkind in der Welt herum zieht. So ein Apfel, der
des Nachts in den Schuh gesteckt wird, schmeckt aber auch zehnmal
süßer, als der beste Zehnuhrapfel der Mama.
So reiten denn die Drei jedes Jahr von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, von
Haus zu Haus, sehen durch die Fenster, wo die guten und die schlimmen Kinder
sind, bringen Zuckerwerk oder Ruten, wie es eben passt, bis endlich
Weihnachten, des lieben Christkindleins Geburtstag kommt. Da wird es am
allerschönsten!
Wenn es dann Abend geworden und die große Glocke auf dem Kirchturm
fünfmal: bum, bum, bum, bum, bum! geschlagen hat, wird es in allen
Häusern so helle, wie damals droben auf der Böllsteinerhöhe, als
der Klapperstorch das liebe Kindlein zur Frau Holle brachte, und es jauchzt und
jubiliert in den Stuben, gerade so laut, wie es damals die Engelein machten. -
Jetzt ist Christkindleins heimliches Werk zu Ende und Alles wird offenbar, was
es mit den Eltern zu tuscheln und abzumachen hatte. Da prangt für die
guten Kinder der bunte Christbaum und stehen die prächtigen Spielsachen
umher und sie nehmen sich fest vor im folgenden Jahre noch lieber und artiger
und dadurch dem guten Christkindchen ihren Dank zu beweisen. -
Nikolaus und Christkindchen sind aber jetzt gar müde und matt.
Während die Freude und das Glück, das sie gebracht, in allen
Häusern lebendig sind, ziehen sie still hinauf auf ihren Böllstein,
stecken sich in ihre warmen Betten und schlafen sich darin aus, bis es wieder
Zeit wird, an die neue Weihnacht zu denken. - In dieser Weise geht es nun schon
viele, viele, viele, Jahre lang; der Nikolaus hat unterdessen einen langen,
weißen Bart und schneeweiße Haare bekommen und er ist noch
mürrischer als zuvor, denn die Weihnachtsarbeit wird ihm manchmal recht
sauer. Das liebe Christkind aber verändert sich nicht; es bleibt ewig jung
und ewig schön und ist den artigen Kindern noch eben so gut, wie am ersten
Tage. Die Frau Holle hat sich schon längst ganz zur Ruhe gelegt, man sieht
und hört nichts mehr von ihr; ihr weiches Federbett hat das Christkind
geerbt und an dem haben nun die Engelein zu schütteln und zu rütteln.
Wenn ich Euch nicht die Geschichte der Frau Holle erzählt hätte, so
wüsstet Ihr gar nicht, dass sie jemals da gewesen. - Die Engelein aber
sind noch immer so toll und lustig wie vor alter Zeit und wenn der Georg und
das Mathildchen immer so lieb sein wollen, wie das Christkind, dürfen sie
auch manchmal so toll und mutwillig sein, wie das kleine Volk droben auf der
Böllsteinerhöhe.
Luise Büchner, 1821 -
1877 |
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